Lust, Schönheit und Kreativität
Lust,
Schönheit und Kreativität
Über das sexuelle Vergnügen von Männern und Frauen lesen wir alles Mögliche.
Soziologen, Psychologen, „Kenner" aller Art versuchen sich ohne sichtbare
Pause daran. Das Thema ist so stark mit Gefühlen, Körperlichkeit,
geschlechtlichen Identitäten, heutzutage sehr stark mit Chemie, und mehr oder
weniger induzierten Vorlieben verbunden, wo jeder recht zu haben scheint, „ma
anche no, gerne auch ohne" würde ein Venezianer sagen. Sprechen sie
tiefgehend oder oberflächlich darüber? Ich denke, sie versuchen auf intensive
Weise der Sache auf den Grund zu gehen, aber mit wenig Erfolg, angesichts der
schwierigen und schwer fassbaren Materie. Fügen wir lediglich das hinzu, was
nicht gesagt wird in ihren Beiträgen. Die Wissenschaft, die Medizin und die
Pornographie, wenn auch mit unterschiedlichen Zielen, unternehmen enorme und
nutzlose Anstrengungen, um das zu katalogisieren, zu messen, zu homologisieren,
was die Philosophie seit Jahrhunderten wegen ihrer Unfähigkeit es zu verstehen
nicht behandelt hat und um es den Vereinfachungen der Moral zu überlassen. Eros
ist ein „Feld" zwischen nur scheinbar ähnlichen Individuen. Die Erotik,
die zwischen diesen Individuen entsteht, ist eine schwer fassbare, zerklüftete
Kraft, die nie gleich ist. Wir sind in einen Wirbelwind von oft
unwiederholbaren Empfindungen verwickelt, eine Macht, die sich überhaupt nicht
einordnen, nicht klassifizieren, nicht assoziieren, nicht homologieren lässt.
Jedes Individuum, ob männlich, weiblich oder mit einer anderen
Geschlechtsidentität, hat seine Einzigartigkeit, und das Wunder für jeden von
uns besteht darin, sie ans Licht zu bringen, ihr Potenzial zu spüren, sie mit
Hingabe zu erweitern und sie vollständig zu kennen. Das Glück eines Paares ist
das Streben nach der vollständigen Entfaltung des eigenen Selbst durch eine
starke Verwirklichung des anderen. Die „gegenseitige Entdeckung" ist eine
lange und ermüdende, mit tierischen Instinkten gespickte und vor allem
intellektuelle Reise, die zum puren Wissen führt und das Glück des Seins auf
dieser Welt verkörpert. Je komplexer, aufmerksamer und attraktiver dieser
Lebensweg ist, desto erfüllter ist das Paar, das sich auf eine höhere Ebene des
Daseins und der Lebensfreude begibt, die sich jeder wissenschaftlichen
Klassifizierung entzieht und die kontinuierliche Entwicklung eines
einzigartigen Phänomens ist, das nur die Protagonisten betrifft und für alle
anderen absolut nutzlos ist. Vor dieser Erkenntnis fürchten sich sowohl die
Wissenschaft als auch die Pornowelt; beide sind auf diesem Gebiet nutzlos (und
doch gedeiht und expandiert die Pornografie). Die Literatur hat sich, in der
Befürchtung in eine pornographische Sprache zu verfallen - einige sehr wenige
wagemutige Autoren ausgenommen - immer in den Gefilden einer vernachlässigenden
Langeweile bewegt. Dreigroschenromane wie „Fifty Shades…" sind
abgestaubte, an unsere Zeit angepasste alte Märchen. Auch die Kunst hat
kapituliert. Sie hat im Laufe der Jahrhunderte nur einige Randaspekte des Eros
aufgefangen. Besser, wenn auch nur geringfügig, gelang es den erotischen Comics
(Hanz Kovacq, Ignacio Noe, Serpieri Eleuteri, zum Beispiel). Sie haben es
geschafft, die erotischen Träume und sexuellen Alpträume, vor allem der Frauen,
in jeder möglichen Form vortrefflich darzustellen. Die Kunst des neunzehnten
Jahrhunderts hat der Attraktivität der Gesten, die von starkem sexuellen
Verlangen getrieben sind, Ausdruckskraft verliehen. Die Fotografie hat in
peinlicher Weise Formen der Schönheit zu Unterkategorien der Sinnlichkeit
homologiert, durch einen ähnlichen Prozess, wie ihn die Mode der schlanken, auf
ein Minimum beschränkten und oft unmenschlichen weiblichen Figur ihrer
Mannequins auferlegt hat. Die Fotografie fängt die gewöhnlichsten und gewohnten
Aspekte der Schönheit ein, sie lässt die „Bewegung der Körper", die reiner
Ausdruck der Begierde ist, vollkommen außer acht und ist daher nicht
authentisch und ausgesprochen langweilig. Nur wenige Künstler, wie Courbet,
boten uns einige Aspekte einer sehr kraftvollen weiblichen Schönheit, immer
dann, wenn sie ihre wunderbaren Mätressen porträtierten. Wir können dieses
Argument mit der Feststellung abschließen, dass die wahre Schönheit in der
Bewegung der Körper liegt, und dieser Aspekt erzeugt auch ein intensives
Vergnügen für diejenigen, die diesen vitalen Impuls lieben, neben den anderen
Impulsen sexueller Natur und es besteht kein Zweifel, dass die Lust eines jeden
von uns aus der vollständigen Bejahung des Genusses unserer Andersartigkeit
entspringt: ein Partner mit Wesensgleichheit in der Körperlichkeit und in der
Entfaltung der gegenseitigen Gefühle. Das führt uns natürlich nicht dazu, zu
glauben, das Thema erschöpft zu haben. Wie bereits erwähnt, fürchtet es in
keiner Weise irgendeine Unberechenbarkeit, weil es stark von der Kreativität
des Menschen getrieben ist.